Veränderte Körperformen durch waagrechte Proportionslinienverschiebungen provozieren ein ungewohntes Erscheinungsbild. Sie wirken merkwürdig deformiert und dennoch scheinen sie unserer Welt zu entstammen.
Die Natürlichkeit der Materialien korreliert mit der nahezu unnatürlich wirkenden Farbenpracht. Sie scheinen natürliche Wesen zu sein, wenngleich atypisch und mutiert.
Ihr autarker Lebensraum vermittelt ein Gefühl von Kälte und Distanz, und dennoch macht er sie mächtig und perfekt adaptiert. Sie sind Herren ihrer eigenen, unzugänglichen, autonomen Welt.
Sie faszinieren durch ihr skulpturales und gleichzeitig lebendiges Erscheinen, sie wirken wie Ausstellungsstücke oder seltene Objekte. Sie sind faszinierend.
Trotz oder gerade wegen ihres tristen, kargen und kühlen Umfelds scheinen sie bewegt und agil, keineswegs tot. Sie sind lebendig.
Die Autumn/Winter2018/2019-Kollektion «Chamber Of Rimy Solitude» – zu Deutsch etwa «Kammer der eisigen Einöde»– basiert auf dem atmosphärischen Grundgedanken von Entschleunigung, Autonomie und distanzierter Kälte.
Stets steht ein gewisser Bruch der Kleidungsstücke und ein vermeintlich seltsamer Umgang mit jenen im Fokus, welcher die Wechselwirkung zwischen sonderbarer, aufregender, neu entdeckter Welt und der alten, erkundungseifrigen Welt verdeutlichen soll.
Als Inspirationsquelle der Kollektion dienen Höhlen als natürliche abgeschlossenen und autarke Lebensräume. Im Speziellen Eishöhlen und deren oftmals magischer Charakter erzeugen eine ungewohnte, entschleunigte, tiefenentspannte, beruhigende Atmosphäre, wirken nahezu starr und verlassen auf den ersten Blick. Bei genauem Betrachten lassen sich jedoch Lebewesen erkennen, welche durch die Isolation mutiert, von atypischer Gestalt und Form kaum von dieser Welt zu sein scheinen. Eine Höhle kann daher durchaus als kühler, distanzierter Lebensraum beschrieben, aber keinesfalls tot oder leblos erachtet werden.
Höhlen gelten als am wenigsten erforschte Gegenden der Welt, bedingt durch ihre Abgeschiedenheit und ihre Verborgenheit. Der Mensch ist dabei selten der erste, der diese autarken Welten betritt, und ist stets erstaunt von dem sich ihm bietenden ungewohnten Anblick.
Die wohl beeindruckendsten Eishöhlen dieser Zeit finden sich auf Island. Unter dem gewaltigen Gletschermassiv des Vatnajökull Glacier erstecken sich weite Höhlensysteme, geformt von Schmelzwasser. Der Begriff Höhle definiert einen unterirdischen, natürlichen Hohlraum.
Bezüglich der Farbigkeit orientiert man sich an den Auswirkungen eines natürlichen Phänomens, nach welchem ein Großteil der Bevölkerung der Pazifikinsel Pingelap an einer seltenen Farbenfehlsichtigkeit leidet, hervorgerufen durch die Separation der Bewohner durch ihren abgeschiedenen Lebensraum und die damit einhergehende Weitervererbbarkeit der Krankheit. Bedingt durch dieses Sehleiden ergibt sich ein vermeintlicher Wegfall eines nuancierten Farbenspektrums und eine Wahrnehmung in Schwarze-Weiß. Die Betroffenennehmen ihre Umwelt jedoch durchaus sehr differenziert wahr. Aufnahmen ihrer Umgebung wurden von Betroffenen koloriert - ohne dass sie wussten, welche Farben sie verwendeten. Die dabei entstandenen Bilder erscheinen in Blau und Rosa. All dies verdeutlicht die Auswirkungen von natürlicher Separation und die Entwicklung neuer veränderter Genpools.
Die kräftigen Farben Blau und Rosa nehmen in der Kollektion die Position der bewusst und wirksam eingesetzten Kontrastfarben ein, während Schwarz als Basisfarbe den tristen und dunklen Lebensraum verdeutlicht.
Schnitttechnisch liegt der Fokus auf klaren Formen und Kanten gepaart mit körpernahen männlichen und körperferneren weiblichen Silhouetten. Eine Veränderung der horizontalen Proportionslinien spiegelt die Mutation in autarken Lebensräumen wider und stellt einen Bruch zu gewohnten Proportionen dar. Überschnittene Schultern erzeugen eine optische Verbreiterung der Körperformen.
Kollektionsübergreifende Details wie geschlitzte Ärmel und Säume und Cutouts gründen auf den in Höhlen verborgenen Kluften und Spalten, der Verzicht auf sichtbare, prägnante Hardware unterstreicht den cleanen Charakter. Applizierte Kristalle und Glasschliffsteine, angelehnt an die glänzenden Lichtreflektionen und Eiskristalle, geben der Womenswear einen qualitativ hochwertigen, haut-couture-artigen Look und repräsentieren das Funkeln von Eis und Kristallen in einer Vielzahl an Höhlen. Die Verwendung von Bündchen an Armen und Beinen sowohl bei der Womenswear als auch der Menswear schließen die Kleidung als eine den Körper ummantelnde Schutzschicht ab.
Die Verwendung von ausschließlich natürlichen Materialien wie Wolle und Seide bewirkt einen exquisiten, authentischen Charakter und gründet auf der Natürlichkeit von Höhlen als vom Menschen nicht beeinflusste und veränderte Lebensräume. Schwere Stofflichkeiten, welche sich über die leichten Materialien legen, generieren einen Primärlook als Art äußere Schale, welcher den darunterliegenden weichen Kern schützt.
Die Winterkollektion richtet sich an all die Frauen und Männer, welche der Schnelllebigkeit und dem unreflektierten Blick auf die Dinge des Alltages ausgesetzt sind und mit ihrer Mode einen Ausgleich und eine gewisse Besinnlichkeit schaffen und eine entschleunigte, harmonische und gleichzeitig faszinierende und unnahbare Stimmung erzeugen möchten. Diese Frauen und Männer verhalten sich selbstbewusst und stark, gleichzeitig aber auch unwirklich, mystisch und ab und an nicht gesellschaftskonform. Sie wirken dem heutzutage anhaltenden blinden Konsum, der geringen Wertschätzung für Dinge des Alltags und dem Werteverfall entgegen und stehen für die Akzeptanz von Sonderbarkeiten und atypischem Kleidungsverhalten. Demnach sollen auch die Grenzen von männlicher und weiblicher Kleidung zum Teil verwischt und als « genderless items » kategorisiert werden.